Ende des Jahres 2020 veröffentlichte die Swiss Plastic Platform einen Beitrag, indem sie auf die Vorteile von Plastikverpackungen (u.a. beim Kampf gegen Food Waste) hinweist und den Zero Waste Lifestyle kritisiert. Den vollständigen Artikel findet Ihr hier. Zum Ende des Artikels hin durfte Zero Waste Switzerland Stellung beziehen. Zero Waste Switzerland wies bspw. darauf hin, dass bei verpackten Lebensmittel u.a. mehr gekauft wird, als der:die Konsument:in braucht und dadurch ebenfalls Food Waste ensteht (auch, weil die Verpackungsgrößen zu gross sind). Zudem wiesen sie auf die schlechte Recyclingfähigkeit und die Gefahren für die Gesundheit hin. Dennoch stimmte das Swiss Plastic Forum bzw. die Person, die den Artikel verfasst hat (leider wird niemand als Autor:in genannt) nur dem ersten Gegenargument zu. Was es mit den anderen Diskussionspunkten auf sich hat und was das Swiss Plastic Forum übersehen hat, darauf möchte ich im folgenden eingehen.
Warum das Recycling System in der Schweiz (und sicher auch in anderen Ländern) ungenügend funktioniert
Leider funktioniert das Recyclingsystem in der Schweiz nicht so wunderbar, wie vom Swiss Plastic Forum dargestellt. Sicher, wir haben gute Sammelstationen und nach außen hin könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass der Kreislauf gut funktioniert. Wie in meinem Beitrag zu den PET Flaschen bereits erklärt, handelt es sich beim Recycling aber NICHT um einen geschlossenen Kreislauf (zumindest wenn wir uns auf Plastik konzentrieren, bei Glas und Metallen sieht es wiederum anders aus). Anzumerken hier: die Angaben zu PET Flaschen, die im Artikel vom Swiss Plastic Forum als Beispiel einer guten Recyclingfähigkeit genutzt werden, stimmen leider nicht mit den offiziellen Zahlen von PET Reycling Schweiz überein. Weiteres dazu in meinem oben verlinkten Beitrag zu PET Flaschen.
Plastik kann faktisch nicht ewig wiederverwendet werden und wenn es recycelt wird, dann meistens durch sogenanntes Downcycling. Beim Downcycling verliert der Wertstoff bei jedem „Recycling-“ Vorgang an Qualität und wird zu einem „minderwertigen“ Nachfolgeprodukt. Hinzu kommt, dass über 75% des in der Schweiz verbrauchten Plastiks Einweg ist. Das heißt, sie können überhaupt nicht recycelt werden (von Total 1 Million Tonnen). Abfälle, die nicht recycelt werden können, werden zur Energiegewinnung verbrannt. Ob das jedoch wirklich nachhaltig ist, sei dahingestellt:
- Verbrennung verlagert das Problem von einem nationalen Anliegen zu einem internationalem, da sich CO2 nicht an Landesgrenzen hält.
- Bei der Verbrennung entsteht ebenfalls CO2
- Bei der Verbrennung entsteht eine sogenannte „Schlacke“. Diese giftige, teerartige Masse muss ebenfalls entsorgt werden
Sicher, das gibt das Swiss Plastic Forum zu, gibt es den dringenden Bedarf das Recyclingsystem zu verbessern und weiter auszubauen. Dennoch zeigt die Studie „Kunststoff Recycling und Verwertung“, die vom Bafu (Bundesamt für Umwelt) in Auftrag gegeben wurde auf, dass das Recycling 3x so teuer wäre, wie das Verbrennen. Aber damit nicht genug: „Der potenzielle ökologische Nutzen einer neuen Kunststoffsammlung pro Person und Jahr entspricht etwa der Einsparung einer Autofahrt von 30 Kilometern pro Person und Jahr.“ schreibt die Studie. Ob Plastikverpackungen alleine durch eine bessere Recyclingfähigkeit plötzlich zu einem nachhaltigen Produkt deklariert werden könnten, ist deswegen kritisch zu betrachten.
Ist Plastik für die Gesundheit unbedenklich?
Das Swiss Plastic Forum verneint das und verweist auf eine Verordnung, die hier nachgelesen werden kann. Leider reicht das nicht aus, um gesundheitliche Gefahren komplett ausschließen zu können.
Es gibt wissenschaftliche Belege, die eine Korrelation mit bestimmten Krankheiten und Plastik nachweisen können. Die Heinrich Böll Stiftung verweist in ihrem Plastikatlas darauf, dass bestimmte Additive notwendig sind, um aus Eröl sortenreines Plastik herzustellen. Zahlreiche dieser Additive sind nachweislich gesundheitsschädlich (hier geht es nicht nur um Plastik in Verbindung mit Lebensmitteln, sondern allgemein). „Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass vor allem Kinder zum Teil sehr stark mit Weichmachern belastet sind, die sich schädlich auf die Fortpflanzungsfähigkeit auswirken können.“ Sicher, hier beziehe ich mich nicht im Speziellen auf Lebensmittelverpackungen, dennoch konnte u.a. eine Dokumentation („Das Plastikexperiment“ vom Journalisten Jenke) zeigen, wie sich durch den starken Konsum von Lebensmitteln, die in Plastik verpackt sind, diese Giftstoffe nach einer relativ kurzen Zeit im Blut nachweisen lassen und das davon ein Gesundheitsrisiko ausgehen kann.
Es gibt noch mehr Quellen, die auf das gesundheitliche Risiko von Plastik-Lebensmittelverpackungen eingehen. Das SRF zitiert den Biologen Martin Wagner wie folgt: „Wir verwenden heute Chemikalien in Plastikverpackungen, die nicht gut sind für unsere Gesundheit.“ Problematisch sei, so der Artikel, nicht die Plastikverpackungen an sich, sondern vor allem was ihr an Chemikalien zugesetzt sei. Diese könne der Körper eben nicht, wie die Plastikteile an sich, wieder ausscheiden. Dadurch können diese ins Blut und in die Organe gelangen. „Grosse epidemiologische Studien zeigen deutliche Zusammenhänge zwischen diesen Substanzen und Problemen wie reduzierte Fruchtbarkeit, Fettleibigkeit, Brustkrebs oder Entwicklungsstörungen“, so der Biologe.
Durch die globale Produktion von Plastik und das Netzwerk von Verpackungen ist es oft kaum mehr möglich, nachzuvollziehen, was exakt in den verschiedenen Plastikprodukten enthalten ist. Werner Boote zeigte 2009 in seiner Dokumentation „Plastic Planet“, wie bspw. in Europa verbotene Plastikbestandteile trotzdem Einzug erhalten können. Unternehmen in Europa würden Verpackungen mit den gewünschten Eigenschaften in Ländern außerhalb von Europa in Auftrag gegeben, zudem stünde die Zutatenliste von Plastik unter dem „Unternehmensgehemnis“ und damit oft unter Verschluss.
Plastik versus Zero Waste?
Plastik ist nicht per se schlecht. Gerade im medizinischen Bereich und in der Forschung wären wir heute nicht da, wo wir sind, hätten wir diesen Stoff aus Erdöl nicht. Diesen generell zu verteufeln macht keinen Sinn, ihn aber als Lösung für alles zu loben, sicherlich auch nicht. Wichtig, wie bei so ziemlich allem ist, sich bewusst mit dem Material auseinanderzusetzen und verschiedene Perspektiven in die Diskussion miteinzubeziehen. Was bei dem Artikel vom Swiss Plastic Forum auffällt sind mehrere Aspekte: sie haben den CO2 Verbrauch an Produkten getestet, die an sich bereits einen hohen CO2 Fußabdruck aufweisen, um ihr Produkt (Plastik) daneben möglichst positiv erscheinen zu lassen. Zum anderen ist die differenzierte Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten von Zero Waste Zentralschweiz eher schwach und die einseitige Beleuchtung mit Referenz auf Food Waste unzureichend.
Die Klimakrise setzt sich weder NUR aus CO2, noch alleine durch Verpackungsmüll zusammen. Das Thema ist viel zu komplex, um verschiedene Aspekte der Umweltproblematik (Plastik versus CO2) gegeneinander ausspielen zu können. Dabei drehen wir uns im Kreis. Fakt ist: einmal produziertes Plastik verschwindet NIE WIEDER von unserem Planeten. Es zerfällt in immer kleineres Mikroplastik, aber löst sich nicht vollständig auf (auch in 400 Jahren nicht). Unser Meer ist voll davon und das Plastik gelangt dadurch schon in unsere Lebensmittel, bevor diese eingeschweißt werden. Je mehr wir davon produzieren und konsumieren, desto größer wird das Müllproblem. Dass der CO2 Ausstoß und Food-Waste ebenfalls wichtige und brisante Themen sind, versteht sich von selbst. Doch diese kann man nicht durch andere „Problematiken“ beheben (mehr Plastik, weniger Food Waste bspw.). Es ist vielmehr wichtig Lösungen zu finden, die nicht andere Probleme, wie das Plastik im Meer, noch zusätzlich befeuern. Das können wir uns in der Klimakrise schlichtweg nicht leisten.
Wie kann eine Lösung gegen Food Waste aussehen?
Food Waste kann man nicht alleine durch Plastik-Lebensmittelverpackungen lösen. Sonst dürfte es so etwas wie Food Waste heutzutage ja kaum mehr geben. Im Umkehrschluss müsste das heißen, dass es früher, vor der Erfindung des Plastiks, eine massive Lebensmittelverschwendung gegeben haben müsste, auch das bezweifel ich.
Wir sehen also, um Food-Waste entgegenzuwirken braucht es weit mehr als eine optimale Verpackung.
Etwas gegen Food Waste zu tun ist richtig. Denn, da stimme ich dem Swiss Plastic Forum zu: Food Waste hat einen Anteil an der Klimabelastung. Im folgenden habe ich einige wichtige Schritte zur Bekämpfung von Food Waste gesammelt:
- Den Einkauf planen (bspw. mit Hilfe von Wochenplänen, Einkaufslisten, aktuelles Foto vom Kühlschrank auf dem Handy etc.)
- Vor dem Einkauf etwas essen, denn wer hungrig ist, kauft automatisch mehr ein.
- Das MHD bedeutet „mindestens Haltbar bis“ und nicht „sofort tödlich ab“. Oft sind Lebensmittel noch genießbar, selbst wenn das Datum abgelaufen ist. Also bevor das Essen in der Tonne landet, schmecken, riechen und dem gesunden Menschenverstand vertrauen/Ausnahme bildet die Kennzeichnung: „Konsumieren bis“
- Räume den Kühlschrank „richtig“ ein. An manchen Orten lagern sich die Sachen besser als an anderen. Tipps findest Du beispielsweise hier.
- Lerne dich selbst besser kennen und Portionen einzuschätzen, die Dich satt machen. Lieber noch einmal nachnehmen, als Reste wegzuschmeißen.
- Reste weiterverwerten. Wie Du aus altem Brot Paniermehl machen kannst, erfährst du in diesem Beitrag.
Für diese Tipps, die Food Waste schon stark entgegenwirken können, braucht es keine Plastikverpackungen. Die alleine können das Wegschmeißen von Lebensmitteln nämlich nicht lösen.
Fazit
Zu Beginn steht, wie bei vielen anderen wichtigen Themen auch, das Bewusstsein für die Problematik. Wenn sich Unternehmen und Personen langfristig darüber Gedanken machen und nach Lösungen suchen, wie sie ihr Leben möglichst nachhaltig gestalten können, können wir viel bewirken. Dabei spielen alle Aspekte von Umweltschutz (Müllvermeidung, Klimaaktivismus, CO2, Ernährung, Forschung, etc.) eine tragende Rolle und müssen zusammenarbeiten, nicht gegeneinander.
Das Thema ist komplex und vielschichtig und wir brauchen Lösungen. Mehr regionale Produkte können weniger CO2 aufweisen, obwohl sie bspw. unverpackt oder in Glasbehältnissen transportiert werden. Bei der fleischlosen Ernährungsweise, die Vorteile beim Umweltschutz haben kann, benötigen wir mehr Offenverkäufe (bspw. von Tofu-Produkten etc) oder Mehrweg-Behältnisse (bspw. bei Pflanzen-Drinks). Die verschiedenen Aspekte von Umweltschutz gegeneinander aufzurechnen bringt jedoch nichts, denn alle Aspekte des Umweltschutzes sind bei der Bewältigung der Umweltkrise wichtig und verdienen Beachtung.
Quellen:
- Gabler Wirtschaftslexikon: „Downcycling“ von Prof. Dr. Edeltraud Günther (2020): https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/downcycling-33970 abgerufen: 19.01.2021
- Swissinfo: Misicka, Susan (2018): Plastik in der Schweiz: Top beim Verbrauch, Flop beim Recycling, https://www.swissinfo.ch/ger/ressourcen_plastik-in-der-schweiz–top-beim-verbrauch–flop-beim-recycling/44085230 abgerufen: 19.01.2021
- Kunststoff Recycling und Verwertung (2017): Studie im Auftrag Bundesamtes für Umwelt vom Instituts für Umwelt- und Verfahrenstechnik und der Firma carbotech (Umweltprojekte und Beratung). Kurzbericht: http://www.swissrecycling.ch/fileadmin/rd/pdf/wertstoffe/kunststoff/KURVE/KuRVe_Bericht_oeffentlich_01.pdf abgerufen: 19.01.2021
- Plastikatlas: Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff (2019) der Heinrich Böll Stiftung. Artikel: Fluch und Segen (S. 14-15). Online zum kostenlosen Herunterladen hier: https://www.boell.de/de/plastikatlas
- Plastikatlas: Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff (2019) der Heinrich Böll Stiftung. Artikel: Chemie im Körper (S. 16-17). Online zum kostenlosen Herunterladen hier: https://www.boell.de/de/plastikatlas
- Stoffstrom von PET-Recycling Schweiz (2019):
https://www.petrecycling.ch/de/wissen/zahlen-fakten/stoffstrom
(Die Zahlen der Grafik dienten der Berechnung, wie viel Prozent von den gesammelten Stoffen wieder zu PET weiterverwendet werden. Als Ausgangszahl diente die Tonnenangabe beim Verwerten.) abgerufen: 20.06.2020 - Das Jenke-Experiment: Plastik (2019)/RTL: https://www.tvnow.ch/shows/das-jenke-experiment-2243/staffel-7 abgerufen 03.05.2020
- SRF: „Und noch eine Portion Plastik, bitte“ von Anita Vonmont (2020): https://www.srf.ch/kultur/wissen/schaedliche-chemikalien-und-noch-eine-portion-plastik-bitte abgerufen 19.01.2021